BERÜHREND UND UNTERHALTSAM – Beckmann-Lesung im Spiegel der Presse
Wenn der Andrang nicht so groß gewesen wäre, hätte er sich wohl einen kleinen Scherz erlaubt und den Bürgermeister in der zeitgleichen Ausschusssitzung überrascht. So aber musste Reinhold Beckmann nach der Lesung eine Menge seiner Bücher signieren.
Vier ungelebte Leben, von denen nichts geblieben ist als ein Schuhkarton voller Feldpostbriefe, Kummer ohne Trost, Schmerz der bleibt: Die Brüder Hans, Franz, Alfons und Willi sind aus dem Krieg nicht wiedergekommen. Von ihrem viel zu kurzen Leben, ihren nie erfüllten Träumen und ihrem sinnlosen Sterben für einen Mörderstaat erzählte Reinhold Beckmann, der seinen vier Onkeln nie begegnen konnte.
Der bekannte, 1956 geborene Fernsehmann und Musiker hat die Geschichte der vier Brüder und ihrer Schwester Aenne, seiner Mutter, in einem berührenden Buch niedergeschrieben. Es geht um Liebe und Trauer, Träume und Niederlagen, die Verheerungen des Krieges und auch das harte Leben und den aufkommenden Nationalsozialismus in einem sehr katholischen Dorf: Wellingholzhausen im Landkreis Osnabrück.
Der Arbeitskreis „Kunst, Kultur, Kirche“ hatte Reinhold Beckmann zu dieser Buchpräsentation in die Bürgerscheune eingeladen, in die kein Stuhl mehr passte. Fast 250 Zuhörer wollten Beckmann hören und sich aus „Aenne und ihre Brüder“ vorlesen lassen. „So sieht es sonntags immer in der Saerbecker Kirche aus“, flunkerte Werner Heckmann, der in seiner Begrüßung den großen Literaten Umberto Eco mit dem Satz zitierte: „Was man nicht erklären kann, muss man erzählen.“
Und das tat Reinhold Beckmann in den folgenden zwei Stunden respektvoll, mitfühlend, beklemmend – und ja, über lange Strecken auch sehr humorig. Zum Beispiel, wenn er von seiner gestrengen Stief-Oma Maria erzählt, über die noch heute in Wellingholzhausen diese Anekdote die Runde macht: „Wenn die Dörfler mitkriegten, wie sie im Altenheim mit dem Personal schimpfte“, erzählte Reinhold Beckmann, „dann raunten sie sich zu: Hörst du – der Teufel will sie immer noch nicht!“
Auch wenn Beckmanns Mutter Aenne, die selbst mit fünf Jahren Vollwaise wurde, als ihre Eltern an den Folgen des Ersten Weltkriegs starben, anders als viele andere ihrer Generation viel über die düstere Kriegszeit erzählt hat, steht nicht sie im Mittelpunkt der Familienchronik. Denn noch mehr berühren die Schicksale ihrer im Krieg umgekommenen Brüder. Wo Alfons gestorben ist, erfuhr Reinhold Beckmann erst 61 Jahre nach dessen Tod, als man ihn 2003 in einem Bunker fand. „Alfons ́ Erkennungsmarke“, erzählt Beckmann, „lag beim Schreiben des Buches neben dem Computer, so war immer noch ein bisschen von ihm da.“
Nach Saerbeck hat Reinhold – er kommt schnell mit dem Du um Ecke – den Gitarristen seiner Band, Johannes Wennrich, mitgebracht, der die Lesung mit melancholischen Klängen begleitete. Ganz zum Schluss griff auch Beckmann zur Gitarre und sang das Lied „Vier Brüder“, das er am Volkstrauertag 2021 in einer Gedenkstunde des Bundestages spielen durfte. Da war von dem Buch noch keine Rede, aber nach dem Lied kamen Verlagsleute auf ihn zu und baten ihn, die Geschichte hinter dem Lied doch aufzuschreiben.
Am Mittwoch sang er es vor lang anhaltendem Applaus nochmal. Aus dem Text des Liedes: „Sie alle waren deine Brüder, jeder ein Teil von dir. Du sahst sie nie mehr wieder, sie sind jenseits von hier. Längst vorbei, ein Leben her. Keiner reicht dir mehr die Hand; so als ob es gestern wär, als der Mond am Himmel stand.“
zur Person:
Reinhold Beckmann (geboren 1956 in Twistringen) ist Journalist, Autor und Musiker. Seine Fernsehkarriere begann er beim WDR. Nach einem Ausflug zu den privaten Fernsehsendern mit ran und ranissimo moderierte er in der ARD zwei Jahrzehnte lang die Bundesliga-Sportschau und diskutierte in der wöchentlichen Talksendung Beckmann politische und gesellschaftlich relevante Themen. Heute ist er als Produzent und Filmemacher aktiv und mit seiner Band deutschlandweit unterwegs. Mit seiner Initiative NestWerk e.V. setzt er sich für benachteiligte Kinder und Jugendliche in strukturschwachen Stadtteilen Hamburgs ein.
Hans Lüttmann, WN 01.11.2024